
Wenn man in Deutschland einen Job sucht, muss man dafür qualifiziert sein. Also seit Jahren in diesem Bereich „vorgearbeitet“ haben und eine erfolgreiche Entwicklung vorzeigen können. So der Idealfall.
Aktuell bewerbe ich mich in Deutschland und erhielt Absagen im Wortlaut „Sie haben keine Qualifikationen“. Das stimmte. Also es stimmt nicht, dass ich überhaupt gar keine Qualifikationen habe, sondern nur, dass ich diesen Beruf bisher noch nicht ausprobiert habe.
Der Job, um den es ging, hieß „Reise-Managerin“ und inhaltlich ging es darum, Reisen für andere Menschen zu organisieren, d.h. Hotels und Flüge zu buchen. Da ich mittlerweile in 92 Ländern war und quasi nur in Hotels lebte, kann ich das. Zumindest dachte ich das. Sicher hätte ich einige Prozesse neu lernen müssen, aber das traute ich mir zu. Die Junior Recruiterin aber nicht. Weil ich keine Ausbildung als Reise-Managerin habe und keine Berufserfahrung im Tourismus wurde die Bewerbung sofort abgelehnt. Es geht also nicht mehr darum, einen Menschen persönlich einzuschätzen, sondern nur die zertifizierte Qualifikation zu suchen.
Gleichzeitig höre ich, dass die Innovationen in Deutschland zurück gehen, dass die Kreativität nachlässt und der Entwicklungsstandort insgesamt an Bedeutung verliert. Dann denke ich an die Tüftler von früher, die Dinge einfach ausprobiert haben, weil sie sich dafür interessierten. Weil sie es (und sich selbst) ausprobieren wollten und von dieser Idee begeistert waren. Diese Begeisterung ist es, die Kreativiät freisetzt und die Motivation, es nach zig fehlgeschlagenen Versuchen noch einmal zu probieren.
Diese Möglichkeit gibt es in Deutschland anscheinend nicht mehr. Als Jugendlicher legt man sich fest und dann ist man in diesem Bereich qualifiziert. Nur in diesem! Vielleicht war die Begeisterung anfangs noch da, aber irgendwann wurde sie begraben unter zu viel Bürokratie, zu vielen Auflagen und Anforderungen, die den ursprünglichen Arbeitsinhalt überlagerten und die Lebensenergie (Kreativität) austrockneten.
Ein Bekannter von mir hatte ein Hostel in Österreich. Ein schönes altes Holzhaus mit Wendeltreppe und uriger Sauna. Die Gäste haben es geliebt und er liebte die Arbeit als Gastgeber. Liebte die Bergtouren mit den Gästen und seine Zeit draußen in der Natur. Dann kamen die Behörden, die sagten, seine Wendeltreppe sei nicht Fluchtweg geeignet und seine Sauna hätte keinen Not-Ausschalter. Seine Gäste seien nach 22 Uhr mal zu laut gewesen. Die Arbeit mit den Behörden reduzierte seine Zeit in der Natur, die Sauna wurde irgendwann ausgeschaltet, die Treppe gesperrt und der Bekannte hat sein Hostel aufgegeben. Die Leidenschaft wurde zur Arbeit und die Arbeit machte irgendwann krank. Mittlerweile gibt es neue, unpersönliche Hostel, die alle behördlichen Auflagen erfüllen, aber so steril sind wie Krankenhäuser. Herz- und Seelenlos.
Im Laufe meines Lebens habe ich unglaublich viele Qualifikationen erlangt und unfassbar viel ausprobiert. Während meiner 12,5 jährigen Reise durch die Welt habe ich gearbeitet in: verschiedenen NGO’s in London, Waisenhäusern in Guatemala und Uganda, habe eine eigene Firma gegründet in Indien, war Lehrerin für Deutsch und Englisch, habe einige Bücher geschrieben, wurde Yogalehrerin und in Argentinien habe ich einen Bus in ein bewohnbares Zuhause umgebaut – all das, ohne jegliche Qualifikation! Weil es im Ausland geht. Weil die sagen, mach einfach und es klappt.
Ich liebe reiten. (Fast) überall in der Welt kann man reiten, wenn man das möchte. Natürlich (!) ohne Helm. Niemand fragt nach Vorkenntnissen, man bezahlt und hat Spaß. In Deutschland wollte ich reiten und wurde nach meiner Reiterfahrung gefragt (wegen der Versicherung) und weil ich keine „richtige“ Ausbildung hatte, musste ich nachschulen. D.h. ich lernte in der Halle im Kreis zu reiten. Unter Anweisung: Hacken runter, Oberkörper gerade, fließende Auf-und Abwärtsbewegungen, Zügel locker… so oder so ähnlich. Vor lauter denken war ich nur frustiert. Ich fragte einen Argentinier wie er reiten lernte. Er verstand die Frage nicht. Antwortete nur, aufsteigen und los gehts.
In Deutschland steht man sich oft selbst im Weg.